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Warum du deine digitale Bibel begraben solltest!

Artikel von Matt Smith

Als ich mit christlicher Studentenarbeit an der Uni begann, dachte ich, ich würde die Themen kennen, die christliche Studenten beschäftigen: Geld, Gemeindeleben, Dates mit Nichtchristen, Auslandsferien, Noten. Was ich nicht erwartet hatte, war eine Debatte über digitale Bibeln.

Mit dem Aufkommen des Smartphones hat sich die Art und Weise, wie wir auf unsere Bibeln zugreifen, drastisch verändert. Die Bibel-App YouVersion wurde 2008 ins Leben gerufen und inzwischen über 420 Millionen Mal heruntergeladen. Wo wir früher unsere eselsohrige NIV84 (der deutsche Leser möge sich aussuchen, welche deutsche Übersetzung er hier gedanklich einfügt; Anm. d. Red.) mit zur Gemeinde schleppen mussten, schlendern wir jetzt lässig mit über 60 englischen Übersetzungen in der Tasche hinein.

Digitale Bibeln bieten viele und offensichtliche Vorteile. Du willst unterwegs einen Abschnitt lesen? Du brauchst nur dein Smartphone zu zücken. Du weißt nicht mehr, wo du diesen Vers findest? Du suchst einfach nach dem Schlüsselwort. Die Navigation erfolgt augenblicklich, man braucht eine Sache weniger mit sich herumzutragen und du kannst dein Smartphone herausholen, wenn du gerade evangelisierst.

Doch alle diese Vorteile (und es sind Vorteile) scheinen mir im Großen und Ganzen doch auf einen persönlichen Komfort hinauszulaufen, der uns letztlich mehr kostet als er uns bringt.

Hier nur drei Möglichkeiten, wie uns unsere digitalen Bibeln mehr kosten, als wir wissen.

1. Digitale Bibeln lenken ab

Letztes Jahr habe ich mit zwei Studenten auf dem Campus eine Bibelarbeit durchgeführt. Ich mit Papier, sie mit Pixeln. An einem Punkt stellte ich dann eine Frage und keiner von beiden antwortete. Ich bin davon ausgegangen, dass sie nachdachten. Nach einem langen Moment wurde mir dann klar, dass ich falsch lag. Einer scrollte durch Instagram und der andere war auf Messenger unterwegs. Ich konnte es nicht glauben. Aber nach einigem Nachdenken wurde mir klar, dass ich es eben doch konnte. Dasselbe passierte in jeder anderen Studiengruppe, die ich leitete; in einer größeren Gruppe war es nur nicht so offensichtlich.

Kürzlich saß ich im Gottesdienst neben einem Mädchen, das der Predigt mit dem Text auf ihrem Smartphone aufmerksam folgte. Doch dann kam der unvermeidliche Moment: Sie erhielt eine SMS. Also antwortete sie. Und dann hat sie Facebook und anschließend Instagram gecheckt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie mich mit reingezogen und der Prediger predigte nun vor zwei Leuten weniger.

Um nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen, müssen wir zugeben, dass die meisten von uns schon genau dasselbe erlebt haben. Was mich jedoch verblüfft, ist, dass es uns nicht zu interessieren scheint. Wir lassen es immer wieder geschehen. Aber wenn wir ins Kino gehen, machen wir das Licht aus, legen unsere Handys weg und hören auf zu reden. Wir tun alles beiseite, was uns von dem Hauptereignis ablenken würde. Warum tun wir also nicht dasselbe, wenn Gott – unser Gott! – spricht? Die Antwort ist einfach: Wir schätzen seine Stimme nicht so sehr wie wir sollten. Wird die Verwendung einer Papierbibel dieses Herzensproblem lösen? Nein. Aber als praktische Maßnahme (wage ich zu sagen: Disziplin?) beseitigt sie den Lärm und macht es möglich, ohne unnötige Ablenkung auf Gottes Stimme zu hören.

2. Digitale Bibeln beschneiden den Kontext

Ich gehe davon aus, dass wir alle bestätigen würden, dass der Kontext die Bedeutung bestimmt. Meine Sorge ist nun, dass digitale Bibeln uns nicht nur daran hindern, den Kontext zu sehen, sondern uns letztendlich davon abhalten, den Kontext zu berücksichtigen.

Im Durchschnitt kannst du auf deinem Handydisplay nur etwa vier bis sieben Verse sehen. Durch Scrollen bekommst du nicht mehr Verse, es ändern sich nur die, die du siehst. Es ist einfach nicht möglich, genug Text auf einmal zu sehen, um Themen zu erkennen oder die Argumentation eines Autors nachzuvollziehen – insbesondere dann, wenn sie sich über mehrere Kapitel erstreckt (Apostel Paulus, ich schaue in deine Richtung!). Jemand könnte sagen: „Nun, deshalb benutze ich ein Tablet“, aber das Endresultat bleibt dasselbe: Du siehst nur die Teile, nicht das Ganze. Erst wenn du die gesamte Bibel physisch in den Händen hältst, bekommst du ein Gefühl dafür, dass die Bibel ein zusammenhängendes Buch und nicht nur eine Reihe unzusammenhängender Passagen auf einem Bildschirm ist. Wenn du also nicht bereits mit dem größeren Kontext einer Passage vertraut bist, macht die Verwendung einer digitalen Bibel es für dich schwerer, sie zu verstehen. Das ist nicht so sehr ein Problem für diejenigen von uns, die mit Papierbibeln aufgewachsen sind und dann gewechselt haben; aber es ist sehr besorgniserregend im Hinblick auf die jüngeren Generationen – die digital natives, die nie etwas anderes kennen gelernt haben.

Dieses praktische Problem wird durch ein Generationenproblem verschärft. Im Informationszeitalter lernen wir standardmäßig nicht mehr kontextuell von oben nach unten. Stattdessen rufen wir spezifische Fakten ab und bauen unsere Wissensbasis von unten nach oben auf. In grauer Vorzeit musste man, wenn man etwas über Kunstgeschichte wissen wollte (ein Thema, über das ich mich in seliger Unwissenheit befinde), in die örtliche Bibliothek gehen, die kunstgeschichtliche Abteilung finden, dann die entsprechende Enzyklopädie (Gen Z: das ist so eine Art Papier-Wikipedia), im Index nachschlagen, den betreffenden Künstler oder Zeitraum finden und dann schließlich den Artikel lesen. Heute, dank Google, tippe ich einfach ein: „Welcher Künstler hat sich ein Ohr abgeschnitten?“ und sofort erscheint Vincent van Gogh. Der Fall ist abgeschlossen. Ich schreibe jetzt wieder diesen Artikel weiter. Wo liegt das Problem? Meine sofortige Antwort ist aus dem Zusammenhang gerissen worden. Ich habe immer noch keine Ahnung, wer van Gogh war, wann er lebte oder was er gemalt hat. Ich kann nur schlussfolgern, dass er möglicherweise ein Spinner war. Nach wie vor weiß ich nichts über Kunstgeschichte.

Das Ergebnis ist, dass viele Menschen unter 25 Jahren in einer Welt aufgewachsen sind, in der einige der Grundfertigkeiten des Verstehens (wie das Scannen nach sich wiederholenden Wörtern, das Nachvollziehen der logischen Abfolge von Ideen, die Situierung von Fakten in ihrem weiteren Kontext) ihnen nicht beigebracht, sondern für sie erledigt wurden.

Zusammengenommen sehen wir jüngere Generationen, denen (1) Schlüsselkompetenzen des Verstehens abtrainiert wurden und die (2) ein Format der Bibel verwenden, das dieses unterentwickelte Wachstum noch verstärkt.

Heißt das, dass wir keine digitalen Bibeln verwenden dürfen? Nein. Aber wir müssen digitale Bibeln weniger – statt mehr – benutzen, damit wir nicht durch unseren instinktiven Bequemlichkeitsimpuls eine Verhaltensart stärken, die uns die Möglichkeit nimmt, in unserem Schriftverständnis zu wachsen.

Das gilt insbesondere für die Jugendarbeit und die Arbeit mit jungen Erwachsenen. Nichtstun ist keine neutrale Handlung. Wir müssen den Status quo herausfordern und sie dazu ermutigen, ihre Papierbibeln zum Jugendkreis, zur Gemeinde und zur Bibelarbeit mitzubringen. Wir müssen in sie einpflanzen, was unsere Zeit aus ihnen herausgerissen hat. Wir müssen ihnen den Kontext zurückgeben.

3. Digitale Bibeln begrenzen das Behalten

Eine digitale Bibel bietet weniger Anhaltspunkte für unser Gedächtnis als ihr Papieräquivalent. Es ist heute allgemein anerkannt, dass unsere Erinnerungen visuell-räumlicher Natur sind.1 Wir erinnern uns an Dinge nicht nur, indem wir sie sehen, sondern indem wir sie räumlich verorten. Deshalb erinnern wir uns nicht an Landkarten, sondern an gewisse Orientierungspunkte, um an einen bestimmten Ort zurück zu gelangen.

Eine Papierbibel existiert im dreidimensionalen Raum. Sie hat eine bestimmte Größe und Form, ein bestimmtes Gewicht und eine bestimmte Dicke, die sich fein verändert, je nachdem, aus welchem Teil du gerade liest. Jede Seite ist einzeln nummeriert und unterscheidet sich in Aussehen und Format und – was bedeutsam ist – das Format und die Position der Wörter auf den Seiten ändern sich nie. Es wird nicht gezoomt, gescrollt, die Version gewechselt oder Hyperlinks gesetzt. All das bedeutet, dass die Papierbibel auf eine in sich völlig geschlossene und konsistente Art und Weise mehr Sinne anspricht. Das Ergebnis? Stärkere Erinnerungen und damit ein besseres Behalten.

Eine digitale Bibel bietet keines dieser Dinge. Sie ist ein körperloser Text, dem die sensorischen Vorzüge einer Papierbibel genommen wurden und der sich (zumindest äußerlich) je nach Laune seines Benutzers verändern kann.Wenn du dich also in der Gemeinde hinsetzt und die Person neben dir ihre Papierbibel herausholt, während du dein Smartphone zückst und ihr beide den gleichen Text aufschlagt, lest ihr nicht dasselbe. Oder zumindest liest du es nicht auf dieselbe Art und Weise. Der Nutzer der Papierbibel ist im Vorteil und der digitale Nutzer verpasst die Möglichkeit, mehr von Gottes Wort in seinem Herzen zu bewahren.

Zugegeben, die Forschung deutet darauf hin, dass die Printvorteile eher geringfügig als großartig sind.2 Du wirst durch den passiven Gebrauch einer Papierbibel nicht zu einer wandelnden Konkordanz. Dennoch bleibt ein klarer und beständiger Vorteil bestehen, insbesondere bei nichtfiktionalen Texten. Die Entscheidung, wo immer nur möglich eine Papierbibel zu verwenden, ist also in einem sehr realen Sinn die Wahrnehmung unserer christlichen Verantwortung, „die Zeit auszukaufen“ (Eph 5,15–16), denn sie maximiert unser Behalten.

Der Preis der Bequemlichkeit

Ich argumentiere hier nicht für die grundsätzliche Ablehnung digitaler Bibeln. Aber wenn wir sie konsequent den Papierbibeln vorziehen, berauben wir uns unbeabsichtigt der Möglichkeit, Gottes kostbares und lebensspendendes Wort in unseren Herzen zu bewahren und begnügen uns damit, aus dem Brunnen zu nippen, wo wir doch in vollen Zügen aus ihm trinken könnten.

Letztlich möchte ich, dass meine Studenten ihre (echten) Bibeln auf den Campus mitbringen, auch wenn „mir der Rücken wehtut“ oder sie „keinen Platz in der Tasche haben“, weil ich möchte, dass sie fleißige Studenten des Wortes und keine Gelegenheitsleser sind. Wenn wir die Wahl haben – und die haben wir häufiger, als wir vermuten –, lasst uns unsere Papierbibeln verwenden.


Matt Smith arbeitet bei der AFES der University of Western Australia. Er liest gerne, liebt es, die Bibel zu unterrichten und sehnt sich nach der Wiederkunft Jesu. Er ist mit Bethany verheiratet und besucht die Providence City Church in Perth.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei The Gospel Coalition Australia und bei Evangelium21.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.