Ist dein Kind süchtig nach Computerspielen?
Artikel von Melanie Hempe
6. November 2023 — 9 Min Lesedauer
Wir waren im Auto unterwegs und holten unseren ältesten Sohn nach seinem ersten Studienjahr am College ab, als es zu einem Moment der Klarheit kam.
„Mama, ich habe die ganze letzte Woche im Bett verbracht“, sagte Adam. „Ich habe mein Zimmer nicht verlassen. Ich habe meine Kurse nicht beendet. Dieses Computerspiel hat etwas mit mir gemacht.“
Ich werde den Schock, den ich empfand, nie vergessen. Was meinst du mit: „Dieses Spiel hat etwas mit mir gemacht“?
In diesem Moment erkannte ich plötzlich, weshalb wir seit sechs Jahren einen Konflikt hatten. Mir wurde endlich klar, dass unser Sohn in seiner virtuellen Welt gefangen war und nicht mehr herauskam.
Das Problem
Ich hätte die Warnzeichen schon in der Mittelstufe bemerken müssen, als Adam anfing, Sport und Hobbys aufzugeben, um sich mehr mit Videospielen zu beschäftigen. Seine Spielewelt wurde ihm mit der Zeit wichtiger, als Zeit mit uns zu verbringen oder in die Gemeinde zu gehen. Ich hasste meine neue Rolle als Mutter, die mittels einer Küchenuhr Adams Computerspielzeit überwachte und ständig mit ihm darüber stritt.
War es normal, dass ein Teenager stundenlang im dunklen Keller in gekrümmter Haltung vor dem Bildschirm hockte? Befreundete Mütter versicherten mir: „Wenigstens gerät er nicht in Schwierigkeiten und du weißt immer, wo er ist.“ Ich hielt das damals für eine zu niedrige Messlatte. Aber er war mein erstes Kind, und er schien so viel an diesem Bildschirm zu lernen – zumindest sagte er das.
Seine Bildschirm-Gewohnheiten verschlimmerten sich in der neunten Klasse, als seine Schule, wie viele andere auch, Laptops an alle Schüler ausgab. Das war ein Wendepunkt für unsere Familie, weil wir keine Möglichkeit mehr hatten, ihm bei der Kontrolle seiner Bildschirmzeit zu helfen. Als ich eines Tages durch die Schulaula ging, um mich mit dem Beratungslehrer zu treffen und das Problem mit ihm zu besprechen, kam ich an einer Reihe von Jungs vorbei, die alle Call of Duty auf ihren Schul-Laptops spielten. Ich fragte mich, wie andere Eltern damit zurechtkamen.
Die verbleibende Zeit in der Highschool war für Adam voller Konflikte, als er versuchte, in ständigem Hin und Her mit seiner unkontrollierbaren Computerspielsucht klarzukommen. Wir waren froh, als er aufs College ging, weil wir dachten, dort würde er aus seiner jugendlichen Unvernunft herauswachsen und endlich sein Leben beginnen. Aber wir hatten uns geirrt. Auf der Heimfahrt im Auto wurde mir klar, dass wir es mit etwas Ernsterem als einer schlechten Angewohnheit zu tun hatten. Alle Anzeichen einer Sucht lagen vor.
Was sagt die Forschung?
Da ich Krankenschwester bin, habe ich mich eingehend mit der Gehirnforschung im Zusammenhang mit der Nutzung von Videospielen befasst. Ich sprach mit Ärzten und Neurowissenschaftlern aus dem ganzen Land und erfuhr, dass die Spielsucht eine klar definierte neurochemische Komponente hat. MRT-Untersuchungen zeigen, dass sie neurologisch gesehen jeder anderen Sucht ähnelt. Wie beim Glücksspiel und beim Drogenkonsum wird auch beim Spielen der Dopamin-Belohnungsweg gekapert. Die Überproduktion von Dopamin löst eine Reihe neurochemischer Ereignisse aus, die das Verlangen weiter steigern. Dies wiederum führt zu einer Beeinträchtigung der Selbstkontrolle und zu Funktionsstörungen bei alltäglichen Aktivitäten und zwischenmenschlichen Beziehungen – grundlegende Faktoren jeder Sucht.
„Mit der Zeit kann die virtuelle Welt so real und fesselnd werden, dass das Bedürfnis nach seiner Familie, nach Gott und nach natürlicher Freude schwindet.“
Adam hatte nicht übertrieben: Das Spiel hatte etwas mit seinem Gehirn gemacht.
Ich dachte nicht mehr nur an elterliche Beschränkungen wie eine Sperrstunde oder das Verbot nicht jugendfreier Filme, sondern bemühte mich auch darum, die tieferen emotionalen und geistlichen Auswirkungen auf ein Kind, das sich in der virtuellen Welt verloren hat, zu verstehen. Das Spielen war kein neutraler Übergangsritus. Stattdessen kann es, wie alle süchtig machenden Aktivitäten, ein Kind von seinen familiären und geistlichen Lebensgrundlagen wegreißen. Auf seiner täglichen Flucht wird das Spiel zum Gott seines eigenen Universums. Mit der Zeit kann die virtuelle Welt so real und fesselnd werden, dass das Bedürfnis nach seiner Familie, nach Gott und nach natürlicher Freude schwindet.
Die Rettung
Selbst in den dunklen Zeiten, in denen ich mich in diesem Kampf völlig allein fühlte, wusste ich tief in meinem Inneren, dass es ein größeres Ziel gibt. In 2. Korinther 1,3–5 heißt es, dass uns Gott in allen Bedrängnissen tröstet, damit wir diejenigen, die in Schwierigkeiten sind, mit dem gleichen Trost trösten können, den wir von Gott erhalten haben. Ich gelobte mir, den Schmerz dieser Zeit niemals zu vergessen, damit ich anderen Familien helfen kann, nicht erleben zu müssen, was meinem ältesten Sohn widerfuhr.
Glücklicherweise ging unsere Geschichte gut aus. Inzwischen, fast zwölf Jahre später, geht es Adam gut; er hat fünf Jahre in der US-Armee gedient und einen College-Abschluss erworben. Jetzt schließt er sein Jurastudium ab und ist außerdem Sprecher von ScreenStrong, der gemeinnützigen Organisation, die wir gegründet haben, um Kinder vor seinem früheren Weg zu bewahren. Adam erzählt ihnen, dass er sich wünscht, er könnte die mehr als 10.000 Stunden, die er mit Spielen verbracht und sich in der virtuellen Welt verloren hat, zurückholen.
Zweitens sind mein Mann und ich aufgrund von Adams Erfahrungen mit seiner Schwester und seinen jüngeren Zwillingsbrüdern bezüglich ihrer Technologienutzung anders vorgegangen und haben ihnen eine Kindheit ohne Videospiele und Smartphones ermöglicht.
War das radikal? Ja. Aber unsere Tochter kam in der Highschool auch ohne Smartphone und soziale Medien zurecht. Sie wurde in der Mittelstufe nie in dramatische SMS-Kriege hineingezogen und erlebte auch nicht die Versuchungen älterer Teenager in den sozialen Medien. Die Zwillinge blühen in der Highschool auf und investieren in persönliche Beziehungen zu vielen Freunden, Trainern und Lehrern. Anstatt täglich vier Stunden Fortnite zu spielen, nehmen sie an Baseball- und Cross-Country-Wettkämpfen teil, engagieren sich im Schülerrat und spielen Geige und Klavier. All diese Aktivitäten hat Adam verpasst, weil er zu viel Zeit vor einem Bildschirm mit einem Game-Controller in der Hand verbracht hat.
Ich werde oft gefragt, ob die Kinder sich ausgegrenzt fühlen. Nein, meine Teenager haben enge Beziehungen zu ihren Freunden und unserer Familie. Wir sind mit so viel Freude beschenkt worden.
Und drittens hat Gott Adams Geschichte benutzt, um viele Familien zu erreichen. Ich verbringe jetzt meine Zeit damit, anderen Müttern und Vätern zu helfen, die zu Hause mit Bildschirmzeitproblemen zu kämpfen haben. Wenn man sie über die Auswirkungen von Bildschirmen auf das Gehirn aufklärt, kann man Licht in dunkle Ecken bringen. Die Eltern sind dann in der Lage, die Folgen von übermäßigem Bildschirmkonsum auf die Entwicklung ihres Kindes zu verstehen und optimale Entscheidungen für ihre Familie zu treffen. Und in Gemeinschaft fühlen sich die Eltern nicht länger isoliert und beschämt. Das Ergebnis? Beziehungen werden wiederhergestellt.
Weitere Schritte
Es ist keine Schande, Fehler zu machen – wir haben sicherlich auch viele gemacht. Als Eltern leben wir in der Spannung zwischen Gottes Souveränität über jeden Quadratzentimeter der Schöpfung (um Abraham Kuyper zu zitieren) und unserer Verantwortung, treue Haushalter und Hüter unserer Kinder zu sein.
Wie kann uns das gelingen? Die süchtig machenden und provozierenden Elemente von Videospielen sind so stark, dass ich es für gefährlich halte, sie unseren Kindern zu erlauben und dann zu erwarten, dass sie gut aufwachsen. Wenn wir unsere Kinder dadurch ins Unglück bringen, schützen wir sie nicht; es ist unklug und ehrt unseren Schöpfer nicht.
Unsere elterliche Verantwortung besteht darin, unsere Kinder vor süchtig machenden schädlichen Kulturelementen zu schützen. Frag dich einmal: Nimmt der Spielkonsum bei uns zu Hause immer mehr zu? Verdrängt die Spielzeit Sport und gesunde Hobbys? Leiden die Noten und Beziehungenmeines Kindes darunter? Entfernt es sich durch das Spielen von Gott und der Familie?
Wenn du spürst, dass mit dem Bildschirmkonsum deines Kindes etwas nicht stimmt, dann ignorier diese hartnäckige innere Warnung nicht – so wie ich es lange getan habe.
Adam sagte mir einmal: „Mama, du verletzt meine Gefühle nicht, wenn du meine Geschichte erzählst. Bitte warne so viele Familien wie möglich.“
Jede Familie ist mit der Flut von digitalen Medien in den Kinderzimmern konfrontiert, aber nicht jede Familie muss von ihr mitgerissen werden. Wir können unsere Teenager nicht mit elterlicher Kontrolle oder mit mehr Gesprächen impfen. Wir können den Entwicklungsprozess von Kindern nicht ändern: Sie sind intelligent, aber nicht reif. Wir können Kinder auch nicht dazu zwingen, „klug“ mit ihrer Bildschirmzeit umzugehen, denn sie sind noch keine Erwachsenen mit einem voll ausgeprägten Frontalkortex.
„Es gibt Hoffnung. Durch die Gnade Gottes kannst du deine Kinder zurückgewinnen und deine Familie wieder zusammenbringen.“
Aber wir können uns besser informieren und die Aktivitäten unserer Kinder mit unseren Werten in Einklang bringen. Wir können Bildschirmkämpfe proaktiv vermeiden und uns auf gesunde Beziehungen konzentrieren. Die Lösung besteht nicht darin, unseren Kindern den Spaß zu nehmen, sondern ihnen die tiefere Freude am echten Leben zurückzugeben. Gott hat eine Welt geschaffen, die sie erforschen können, und Abenteuer, die sie real erleben können. Lasst uns sie in diese Richtung lenken.
Und richten wir auch unsere eigenen Augen darauf. Denken wir daran, dass Gott derjenige ist, der uns jeden Morgen neue Gnade schenkt (vgl. Lk 3,22–23), Weisheit, wenn wir darum bitten (vgl. Jak 1,5), und Ausdauer und Ermutigung, die wir mit anderen teilen können (vgl. Röm 15,5).
Spielsucht ist ein echtes Problem. Scheu dich nicht, Hilfe bei Eltern zu suchen, die ihren Kampf mit dem Bildschirm bereits erfolgreich bestanden haben. Es gibt Hoffnung. Durch die Gnade Gottes kannst du deine Kinder zurückgewinnen und deine Familie wieder zusammenbringen.
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Melanie Hempe ist die Gründerin von ScreenStrong, einer gemeinnützigen Organisation, die Familien im Kampf gegen die Bildschirmabhängigkeit von Kindern unterstützt. Sie hat drei Bücher für Eltern geschrieben und moderiert den wöchentlichen Podcast ScreenStrong Families. Melanie und ihr Mann leben mit ihren vier Kindern in North Carolina. Dieser Artikel erschien zuerst auf Evangelium21. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.