Ein Artikel von Maurits
13 Minuten Lesedauer
Frage: Aber wieso muss es gefühlt so unendlich anstrengend sein, jedes Mal erneut zum Herrn zu kommen. Wieso ist es so ein Kampf, sich an den Saum seines Gewandes zu hängen und ihn im Gebet anzuflehen? Wieso muss ich mich selbst erst in einen „heiligen“ Zustand beten, bevor ich seine Gnade und seinen Frieden im Herzen erfahre? Ist das nicht mehr als ein psychologisches Spiel? Ist es nicht allseits bekannt, dass ‚positive‘ Gedanken die Stimmung heben? Lüge ich mich da nicht selbst an? Wieso kann Jesus nicht gleich beim ersten Flehen antworten und Ruhe schenken?
Antwort: Er kann. Und er schenkt den Frieden. Doch wir sollten uns nicht täuschen, denn Gott lässt sich nicht spotten (Gal 6,7). Wenn ich meinen Trost in der Welt suche, in Hobbies, in Beschäftigung, in Ablenkung, in Nichtigkeiten oder was auch immer, außer in Gott, dann ist mein Herz voll mit Gottlosem und abgewandt vom Ewigen.
Er will nicht nur unser Wohltäter sein, er will unser Herr sein. Er will nicht nur unser Arzt sein, sondern vor allem unser Gott. Er sagt, dass seine Augen die Erde durchstreifen, „um sich mächtig zu erweisen an denen, deren Herz ungeteilt auf ihn gerichtet ist.“ (2.Chr 16,9)
Wenn unser Herz nicht ungeteilt auf Jesus ausgerichtet ist, sich nach dem Vater ausstreckt, vom Heiligen Geist erfüllt, dann dürfen wir uns auch keine sofortige Linderung unserer Not erwarten.
Natürlich liegt es an Gott, ob er unser Gebet sofort erhört oder nicht. Er kann und er tut es immer wieder. Doch wichtiger als unsere Linderung und wertvoller als unsere Ruhe ist unsere Heiligung und unsere Liebe zu ihm.
Es ist keine Psychologie, wenn ich mich nach Jesus ausstrecke und ihn von ganzem Herzen suche. So, wie ein Kübel voller Dreck zuerst mit sauberem Wasser reingespült werden muss, damit man aus ihm trinken und erquickt werden kann, muss auch unser Herz zuerst vom Dreck dieser Welt reingewaschen und unser Denken und Sinnen auf Ihn ausgerichtet werden.
Wenn wir zu Gott nur deswegen kommen, um unsere Not zu lindern, dann kommen wir nicht zu ihm als zu unserem Gott und Erlöser. Wir kommen zu ihm nur als zu unserem Diener. Doch wie könnte sich das Geschöpf über den Schöpfer erheben? Gott, der uns dienen möchte, darf doch nicht von uns als ein solcher behandelt werden.
Besser ist es, sich zuerst nach Gott zu sehnen.
„Wie ein Hirsch lechzt nach Wasserbächen, so lechzt meine Seele, o Gott, nach dir! Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.“ (Ps 42,2-3a) Das ist die Herzenshaltung, die wir brauchen. Und so kann der Psalmist in diesem Psalm auch weiter beten und Gott um Hilfe anrufen und seiner Seele sagen: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken für die Rettung, die von seinem Angesicht kommt!“ (Vers 6)
Er sucht Gott nicht um der Rettung willen, sondern sucht Gott um seinetwillen. Und darin erwartet er die Rettung zu Gottes Zeit, der sagt, dass alles denen zum Besten dient, die ihn lieben (Röm 8,28).
Wir beten uns also nicht in einen „heiligen“ Zustand, um unsere Psyche auszutricksen. Wir beten so lange, bis unser Herz von Gottes Liebe erfüllt und mit Liebe zu ihm entflammt ist, damit unser sehnlichster Wunsch nicht mehr Ruhe für die Seele ist, sondern Er. Und dort bei ihm werden wir Ruhe finden.
Frage: So lange beten, bis unser Herz entflammt ist… Was, wenn mir dazu die Kraft fehlt? Gerade in meiner Niedergeschlagenheit bin ich zu kraftlos, um mich zum Gebet zu zwingen, um Gott zu suchen. Ist meine Ruhe in Christus damit nicht abhängig von meinem Vermögen und meinem Handeln? Sollte ich nicht viel mehr diese Ruhe aus Gnade allein erhalten und nicht aus eigener Anstrengung – die ich ja nicht einmal aufbringen kann?
Antwort: Es ist wichtig, dass wir uns vor Augen halten, zu wem wir beten und weshalb wir beten. Unser Gott ist kein Gott, der von uns ein Anlass-bezogenes Gebet erwartet und uns nur dann gibt, wonach wir uns ausstrecken. Nein. Er ist ein Gott, der uns sieht; ein Gott, der uns kennt; ein Gott, der uns liebt und trägt. Und wir beten nicht zuerst für uns selbst, sondern zuerst um seines Namens willen.
Gott selbst sagt, dass er seine Ehre niemandem sonst gibt; und sein Ruhm ist Grundlage für unsere Rettung und Hilfe aus unserer Not (Ps 79,9; 106,47).
Wieso beginne ich jedoch damit, wenn es um unsere Kraftlosigkeit zum Gebet geht?
Wir tun gut daran, Kraftlosigkeit von Unwillen zu trennen. Diese beiden fühlen sich im geistlichen Leben eines Christen oft sehr ähnlich an. Doch sie sind grundlegend verschieden und auch verschieden zu betrachten. „Denn das Fleisch gelüstet gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch; und diese widerstreben einander, sodass ihr nicht das tut, was ihr wollt.“ (Gal 5,17)
Unser alter Mensch, die Sünde in uns, möchte nicht zum Herrn. Vor allem dann, wenn wir die Gnade und Gegenwart Christi so notwendig brauchen, krallt sich das Fleisch in der Entfremdung von Gott fest und weigert sich, zu Ihm zu kommen. So, wie Potiphars Frau Joseph bei seinem Obergewand ergriff, um ihn zum Ehebruch zu verführen (1.Mo 39,12), greift die in uns wohnende Sünde unser Herz, um es von Gott wegzuziehen. Hier gibt es kein Argumentieren, kein Abwarten bis die Laune sich zu Jesus neigt. Hier gilt es einzig, sich wie Joseph loszureißen und zu fliehen.
Die Schwierigkeit liegt darin, diesen Unwillen als Unwillen, als das Festhalten des sündigen Wesens, zu erkennen. Hier ist Gewohnheit wertvoller als viel Nachdenken über den tatsächlichen Grund meines Unvermögens zu Gott zu kommen. Wer in jungen Jahren oder in den frühen Zeiten seines Glaubens Gewohnheiten des Glaubens aufgebaut hat, kann sich in der Not daran festhalten (Spr 22,6, Dan 6,11, Lk 22,39-41). Jesus hat uns das Vater Unser (Mt 6,9-13) auch deswegen gelehrt, damit wir eine Struktur haben, an der wir uns halten können. Und das Gebet, wenn es zuerst mit dem Verstand gebetet wird, wird das Anliegen des Herzens verstärken und den Willen zum Gebet vertiefen.
Die Gewohnheit kann auch ein Anker sein, wenn es tatsächlich Unvermögen aus Kraftlosigkeit ist, wenn der Geist so niedergedrückt ist, dass ein Aufraffen unmöglich erscheint und die Worte zum Gebet nicht kommen wollen, können.
Aber die Niedergeschlagenheit, die tiefe Nacht der Seele kann noch tiefer drücken, noch schwerer auf unserem Geist lasten. So schwer, dass nicht einmal die Gewohnheit ein Gebet hervorbringt.
Dann dürfen wir wissen, dass unser Gott kein ferner Gott ist, sondern ein liebender Vater. Eine Zuflucht am Tag der Not für die, die auf ihn vertrauen (Nah 1,7). Er ist ein Gott, der sich uns naht, wenn wir uns ihm nahen (Jak 4,8) und uns dabei den größten Teil des Weges entgegenkommt (Lk 15,20).
Als Petrus Jesus auf dem See entgegenging und nach seinem Blick auf die Wellen zu zweifeln und darauf zu sinken begann, musste er Jesus nicht entgegenschwimmen. Er schrie einzig in seiner Not: „„Herr, rette mich!“ Jesus aber streckte sogleich die Hand aus [und] ergriff ihn […].“ (Mt 14,30b-31a) Jesus streckte ihm sogleich die Hand entgegen! Er wartete nicht, bis Petrus unter Wasser war. Er rettete ihn in seiner Not. Er streckte ihm sogleich die Hand entgegen, als Petrus schrie! Er wartete nicht, bis Petrus vielleicht die richtigen Worte gesagt hätte. Jesus nahm das Gebet der Not sofort an. Und noch wunderbarer ist, dass Petrus nicht wie ein Stein unterging, als er zweifelte, sondern dass die Gnade des Herrn ihn langsam unter gehen ließ, damit er die Zeit hatte, um Jesus anzurufen.
Unser Schreien wird sofort erhört. Wenn wir nicht mehr als ein „Herr, hilf!“ über die Lippen pressen können, so ist Jesus nicht fern, sondern greift sofort ein, um uns zu segnen und zu trösten.
Und er wird nicht zulassen, dass wir in unserem Leid vergehen. Das Wasser der Not mag bis zum Hals hochschwappen, doch Jesus ist bei uns.
Und noch mehr! Denn sogar dann, wenn wir in unserer Not untergehen und beim besten Willen keine Kraft haben, auch nur ein Wort der Bitte auszusprechen, sind wir dennoch nicht verloren. Wenn die Kraft nicht reicht, um „Hilfe“ zu beten, hilft uns der Geist des Herrn. Denn der Geist Gottes, der in uns wohnt, kommt unseren Schwachheiten zu Hilfe und „tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern“ (Röm 8,26), wenn uns die Worte fehlen.
Sind wir im Suchen des Herrn uns selbst überlassen, sind wir verloren. Doch Jesus selbst betet für unseren Glauben (Lk 22,32), und tritt für uns ein, die wir arm und hilflos sind.
Und er ist es auch, der uns mit Seilen der Liebe zu sich zieht, wenn wir alleine nicht können (Hos 11,4).
Und noch mehr. Selbst dann, wenn uns die Not überkommt und das Gebet nicht aus uns hervorbricht und das Seufzen des Geistes keine Linderung verschafft, dürfen wir sicher sein, dass Gott uns beisteht. Denn als Jesus in tiefster und größter Not flehte und sein Leidenskampf im Gebet ihn zu überwältigen drohte, kam ein Engel vom Himmel und stärkte ihn, damit er noch inbrünstiger beten konnte (Lk 22,43-44). Wenn sogar unser Herr Jesus im und zum Gebet gestärkt werden musste, wieviel mehr dann nicht wir, die wir schwach und kraftlos sind. Und sollte der, „der sogar seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat, […] uns mit ihm nicht auch alles schenken?“ (Röm 8,32)
Als Elia vor Furcht und Todesangst erschöpft und des Lebens müde war in seiner Niedergeschlagenheit, hatte er keine Kraft mehr. Doch Gott sandte ihm einen Engel, der ihn nährte und stärkte – zwei Mal, da Elia zu kraftlos war, um endgültig aufzuwachen (1.Kön 19,4-7).
Unser Gott ist ein sanftmütiger, liebevoller, barmherziger Gott. Er richtet den Müden und den Schwachen auf und schützt und behütet uns so, wie wir es brauchen (Jes 25,4). „Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden.“ (Jes 40,29) Und er lässt uns nie im Stich.
Seine Kraft ist in unserer Schwachheit mächtig (2.Kor 12,9). Sein Frieden übersteigt allen Verstand, und er wird unsere Herzen und Gedanken in Christus Jesus bewahren (Phil 4,7).
Vertraue auf ihn.
Maurits M. ist Mitglied der Evgangelikal-freikirchlichen Gemeinde Graz und ist Diakon für Gottesdienste. Er ist verheiratet und ist Vater von 3 Töchtern und arbeitet als Physiotherapeut in einem Altersheim.